„Erfolgsgeschichten“: Das erste Jahr in der Selbstständigkeit
Starke Rollenvorbilder, eine hohe Risikobereitschaft sowie schlechte Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt – das sind im Wesentlichen die Motive, die von den Unternehmensgründerinnen und -gründern für ihren Schritt angeführt werden. Dabei hat ein Drittel der Gründungsinteressierten einen akademischen Abschluss (33 Prozent; Zahlen aus dem Jahr 2015) sowie 41 Prozent eine abgeschlossene Berufsausbildung. Ulf-Birger Franz, Wirtschaftsdezernent der Region Hannover, schätzt die Risikobereitschaft der Selbstständigen. Er betont, wie positiv sich dieser Schritt auf die gesamte Wirtschaft in der Region Hannover auswirkt. "Viele Zuwanderer tragen durch ihre Gründungen dazu bei, dass unsere Wirtschaftsstruktur jünger und bunter wird. Sie schaffen dadurch neue Arbeitsplätze, Einkommen und Kaufkraft", so Franz.
Für die Autorin Sümeyra Demirci war die Zeit der Recherche eine interessante Zeit, wie sie selbst sagt: "Für mich war es sehr spannend, so unterschiedliche Persönlichkeiten kennenzulernen, die alle auf individuelle Weise ihre Selbstständigkeit gemeistert haben", sagt Demirci. Die Broschüre zeige zum einen die Vielfalt an Ideen und Lösungsansätzen der Unternehmerinnen und Unternehmer – "zum anderen motiviert sie auch andere Selbstständige, Neues zu wagen und ihre Potenziale zu erweitern." Ein Thema, dem sich auch der Verein intEX widmet. "Das Ziel des Vereins ist es, die Rahmenbedingungen für Start-Ups und junge Unternehmen mit Migrationsgeschichte zu verbessern", erklärt Demirci.
Dabei stützt ein starkes Netzwerk im Haus der Wirtschaftsförderung die frischgebackenen Selbständigen in der Region: Hannoverimpuls, gemeinsame Wirtschaftsförderungsgesellschaft von Landeshauptstadt und Region Hannover, begleitet Unternehmensgründerinnen, -gründer und Start-Ups auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit. Nach der Startphase von etwa drei Jahren übernehmen die Kolleginnen und Kollegen des Unternehmensservice der Region Hannover. Sie sind Experten für Themen wie Finanzierung, Standort und Fachkräftesicherung. Offene Sprechstunde im Haus ist an jedem Dienstag zwischen 14 und 16 Uhr.
Das Angebot "Gründung Interkulturell" wurde von Hannoverimpuls speziell für Existenzgründerinnen und -gründer unterschiedlicher Kulturkreise ins Leben gerufen. "Die Gründungsberatung Interkulturell zielt darauf, besondere Herausforderungen wie Sprache, Beratung, und Kultur zu berücksichtigen und die ‚Doppelkenntnis‘ der Zielgruppe als Alleinstellungsmerkmal zu nutzen", erklärt Christof Starke, Bereichsleiter Gründung und Entrepreneurship bei hannoverimpuls. Er hat die Idee, die persönlichen Geschichten von Unternehmerinnen und Unternehmern mit Migrationshintergrund in eine Broschüre zu fassen, sofort befürwortet. "Von besonderem Wert sind dabei Vorbilder, die Mut machen und Erfolgsgeschichten, die Wege aufzeigen", so Starke.
Ein Vorbild, das Mut macht, ist Saoussen Ben Ameur Villain. Die 33-Jährige ist Europäerin: Geboren in Tunesien, gelebt und studiert in Frankreich, vor vier Jahren dann nach Deutschland, Hannover, gekommen. "Der Liebe folgend", sagt sie mit einem einnehmenden Lachen auf den Lippen. Villain ist promovierte Verfahrenstechnikerin und Lebensmitteltechnologin – "in Deutschland habe ich dann beschlossen, meine Leidenschaft Kochen zum Beruf zu machen", sagt sie. In ihrer Kochschule "Ma Petite Cuisine" lehrt sie nun anderen Menschen das Kochen – arabische Küche, französische, traditionelle und moderne. "Am schwierigsten waren die ersten zwei Jahre: Die Konzeptentwicklung, der Businessplan, die Suche nach einem geeigneten Standort", sagt Villain. In Deutschland seien die Sprache und die Bürokratie die größten Hürden für sie gewesen. "Mit Immobilienmaklern, Behörden und Verkäufern zu sprechen und zu verhandeln, ohne die Sprache richtig zu beherrschen."
Mittlerweile bereits sechs Jahre im Geschäft ist Fatih Ataseven, 29 Jahre alt. 2012 hat er sich als "Personal Coach" mit seinem Konzept "Flowting" selbstständig gemacht. Die Idee dahinter verbindet Life-Coaching, Fitness und Kampfkunst mit den individuellen Lernbedürfnissen seiner Kundinnen und Kunden. "Anfangs war ich mit der Herausforderung konfrontiert, mit einem innovativen Konzept in einen eher traditionell geprägten Markt einzusteigen", erinnert sich Ataseven. "Etablierte Kampfkunstmeister stehen oftmals einer Modifizierung ihrer Kampfphilosophie skeptisch gegenüber." Dies sei allerdings erforderlich, findet Ataseven, um eine zeitgemäße und vor allem individuell passende Form der Kampfkunst für verschiedene Zielgruppen zu vermitteln. "Daraus habe ich eine Erkenntnis gezogen: Um erfolgreich zu sein, darf man nicht mit der Masse mitschwimmen, sondern mit den richtigen Personen."
Mit vier weiteren Unternehmensgründerinnen und -gründern mit Migrationsgeschichte hat die Autorin Demirci gesprochen – und ihre Geschichten in der Broschüre "Erfolgsgeschichten" zusammengetragen. Neben Saoussen Ben Ameur Villain und Fatih Ataseven werden eine Physiotherapeutin, ein gelernter Fahrzeugsattler, eine Dolmetscherin sowie ein Grafikdesigner mit seiner Werbeagentur vorgestellt.