Umfrage zur finanziellen Lage sozialer Arbeit: Vielzahl sozialer Einrichtungen in Niedersachsen muss Angebote einschränken
Die Zahlen bestätigen, wovor Wohlfahrtsverbände und soziale Organisationen seit Monaten warnen: "Die Ergebnisse spiegeln die Eindrücke, die wir aus der Praxis erhalten, wider. Nach der Pandemie und durch die aktuellen Preissteigerungen steht die soziale Infrastruktur enorm unter Druck. Dabei brauchen Menschen gerade jetzt Beratungsangebote, Pflege, Kinderbetreuung und soziale Arbeit eben aufgrund dieser gesellschaftlichen Herausforderungen besonders dringend. Die beabsichtigten Kürzungen und das Auslaufen finanzieller Unterstützungsleistungen im nächsten Bundeshaushalt, aber auch auf Landesebene und in vielen Kommunen, entziehen sich jeder Logik und Verantwortung", so Marco Brunotte, Vorstandvorsitzender des AWO-Bezirksverbands Hannover. "Anstelle von Haushaltskürzungen brauchen wir ein starkes Signal der politisch Verantwortlichen: Keiner wird alleine gelassen."
Brunotte weiter: "Wenn wir wollen, dass Menschen Vertrauen in den Sozialstaat und in die Demokratie behalten, dann muss sich der Staat den sozialen Herausforderungen annehmen. Dann dürfen in Zeiten in denen Debatten über Migrations- und Flüchtlingspolitik Stoff für populistische und rechte Lager bieten, nicht Migrationsberatungsstellen und Extremismus-Präventionsprogramme wegrationalisiert werden."
Viele soziale Angebote in ganz Deutschland drohen vollständig wegzubrechen, da gestiegene Kosten finanziell nicht ausreichend kompensiert werden können.
Das sind die erschütternden Befunde einer bundesweiten Umfrage von Arbeiterwohlfahrt (AWO), der Diakonie Deutschland und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, an der sich bundesweit mehr als 2.700 gemeinnützige Organisationen und Einrichtungen aus dem gesamten Spektrum sozialer Arbeit beteiligten. Die Wohlfahrtsverbände warnen, dass sich hier eine Katastrophe für die soziale Infrastruktur anbahne und fordern den Bund auf, von angekündigten Haushaltskürzungen Abstand zu nehmen. Was es jetzt brauche, seien zudem eine konzertierte Aktion von Bund, Ländern und Kommunen sowie einen ambitionierten steuer- und finanzpolitischen Kurswechsel.
Insgesamt verzeichnen die befragten Einrichtungen eine Kostensteigerung um durchschnittlich 16 Prozent seit Anfang 2022. Die Ergebnisse der Studie würden zeigen, dass in der Praxis kaum ein Weg unversucht bleibe, aus eigenen Kräften die schwierige finanzielle Lage zu bewältigen. Fast jede dritte befragte Einrichtung müsse demnach zur Kompensation Personal abbauen beziehungsweise plane Entlassungen. Auch die Möglichkeit, Kostensteigerungen durch höhere Beiträge für Nutzer auszugleichen, scheine ausgereizt und führe bereits zu ersten Verwerfungen. Laut der Problemanzeigen aus der Praxis können sich viele, die besonders auf Unterstützung angewiesen seien, Angebote nicht mehr leisten, und in der Praxis komme es zu Unterversorgungslagen und neuen Ausschlüssen.
Die teilstandardisierte Online-Umfrage fand im Zeitraum vom 29. September bis zum 10. Oktober 2023 statt. Der Rücklauf von 2.772 validen Fragebögen war trotz der Kurzfristigkeit groß. Insgesamt sind in den teilnehmenden Organisationen/Einrichtungen mehr als 261.721 Menschen beschäftigt. Im Tagesdurchschnitt werden durch die befragten Organisationen/Einrichtungen insgesamt rund 377.112 Menschen beraten, betreut oder versorgt. Aus Niedersachsen nahmen 301 Organisationen an der Umfrage teil.